Episode 87 / 10. März 2022
Es ist Krieg in Europa – auch für uns ist es in diesen Tagen unmöglich so etwas wie „Business as Usual“ auch nur zu versuchen. In der heutigen Folge befassen wir uns daher mit dem Kulturraum Ukraine: wie geht es Künstler:innen in der Region – aber auch in Russland –, wie können wir durch Lektüren über das Tagesgeschehen hinaus mehr über die Region erfahren und was können wir ganz konkret tun, um zu helfen?
Shownotes
Im Gespräch mit Martin Zierold
Zu Gast in dieser Sonderausgabe von Wie geht’s ist Katharina Raabe, Lektorin für osteuropäische Literaturen im Suhrkamp Verlag und eine Kennerin der Ukraine und ukrainischen, aber auch russischen Literatur.
Katharina Raabe, geboren in Hamburg, studierte Musik (Violine), Philosophie und Musikwissenschaft. Von 1993 bis 2000 war sie literarische Lektorin bei Rowohlt Berlin. Seit 2000 ist sie für den Suhrkamp Verlag tätig. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt in der Entdeckung und Durchsetzung osteuropäischer Autoren und Themen im deutschsprachigen Raum. Sie betreut u.a. Juri Andruchowytsch, Katja Petrowskaja, Maria Stepanova und Serhij Zhadan. 2015 wurde sie mit dem Deutschen Sprachpreis, 2018 mit der Übersetzerbarke ausgezeichnet.
Zuletzt erschienen: (Hg.): Testfall Ukraine. Europa und seine Werte (hg. mit Manfred Sapper), 2015. (Hg.): Gefährdete Nachbarschaften – Ukraine, Russland, Europäische Union. Göttingen 2015; Warum Lesen. Mindestens 24 Gründe (hg. mit Frank Wegner). Berlin 2020.
Spenden und Unterstützung für die Ukraine
Wer spenden oder anderweitig aktiv werden will, findet Anregungen auf der Website von Mischa Gabowitsch, dem in Berlin lebenden Historiker und Soziologen, der sich mit sozialen Bewegungen und mit Erinnerungspolitik beschäftigt.
https://gabowitsch.net/stopwar-de
https://gabowitsch.net/spendenaufrufe/
Leseempfehlungen – zusammengestellt und kommentiert von Katharina Raabe
Die ukrainische Literatur führte lange Zeit ein Schattendasein auf dem deutschsprachigen Buchmarkt. Noch in den späten 1990er Jahren gab es kaum jemanden, der die Sprache beherrschte, geschweige denn aus ihr übersetzen konnte. Das änderte sich, als die großen Namen der ukrainischen Gegenwartsliteratur, Juri Andruchowytsch und Oksana Sabuschko (beide Jahrgang 1960), in polnischer Übersetzung erschienen und auch in Deutschland nicht länger ignoriert werden konnten. Dass der in Kiew lebende Bestseller-Autor Andrej Kurkow (Picknick auf dem Eis) kein russischer, sondern ein ukrainischer Schriftsteller war, der Russisch schrieb, drang vielen erst ins Bewusstsein, als 2014 sein Ukrainisches Tagebuch erschien.
Der populärste Schriftsteller der Ukraine ist heute Serhij Zhadan, 1974 im Gebiet Luhansk geboren. Der Lyriker, Musiker, Frontman der Band „Hunde im Weltall“ und Autor so wichtiger Romane wie Die Erfindung des Jazz im Donbass und Internat harrt er in seiner Heimatstadt Charkiw aus. Er hilft dabei, Frauen und Kinder zu evakuieren, kümmert sich im Medikamentenlieferungen und macht seine Mitbürgern Mut mit Fotos und kurzen Posts in den sozialen Netzwerken.
Juri Andruchowytsch:
– Das letzte Territorium. Essays. Aus dem Ukrainischen von Alois Woldan. Berlin 2002
– Die Lieblinge der Justiz. Parahistorischer Roman in achteinhalb Kapiteln. Aus dem Ukrainischen von Sabine Stöhr. Berlin 2020
Serhij Zhadan:
– Warum ich nicht im Netz bin. Gedichte und Prosa aus dem Krieg. Aus dem Ukrainischen von Claudia Dathe und Esther Kinsky. Berlin 2016
– Internat. Roman. Aus dem Ukrainischen von Juroi Durkot und Sabine Stöhr. Berlin 2018
– Die Antenne. Gedichte. Aus dem Ukrainischen von Claudia Dathe. Berlin 2020
Diese und andere Bücher hier:
https://www.suhrkamp.de/thema/literatur-aus-der-und-ueber-die-ukraine-b-3221
Die beste Einführung in die Geschichte des noch immer viel zu wenig bekannten Landes bleibt der Band des Osteuropahistorikers Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine. 4. überarbeitete und aktualisierte Auflage. München 2014. – Nach der Annexion der Krim 2014 hat Kappeler dem Verhältnis Russland/Ukraine eine bündige Darstellung gewidmet: Ungleiche Brüder. Russen und Ukrainer vom Mittelalter bis zur Gegenwart. München 2017.
Für den Osteuropa-Historiker Karl Schlögel war die Revolution auf dem Maidan ein Weckruf. Als einer der wenigen Vertreter seines Fachs stellte er die Frage, warum die Ukraine, immerhin das zweigrößte Land Europas, im öffentlichen Bewusstsein, aber auch in seinem Fach, der osteuropäischen Geschichte, bisher kaum präsent war. Er hat in der Ukraine ein „Europa en miniature“ entdeckt: Karl Schlögel: Entscheidung in Kiew. Ukrainische Lektionen. München 2015
Unverzichtbar, um den Weg von der „Revolution der Würde“ 2014 bis zum Überfall Putins auf die Ukraine zu begreifen, ist eine Band mit literarischen und analytischen Texten der ersten Stunde: Euromaidan. Was in der Ukraine auf dem Spiel steht, herausgegeben von Juri Andruchowytsch. Berlin 2014.
Wer sich über die Tagesberichterstattung hinaus über Putins Krieg und den Überlebenskampf der Ukraine informieren möchte, dem sei der Blog der Zeitschrift Osteuropa empfohlen.
https://zeitschrift-osteuropa.de/blog/themenschwerpunkt/fokus-krieg-in-der-ukraine/
Eine Antwort auf „Katharina Raabe – Suhrkamp Verlag“
Vielen Dank für die vielen spannenden Hinweise eines anderen, kulturellen Zugangs zum Konflikt und zur Ukraine, die auch mir bisher ein reichlich unbekanntes Land war.